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SCHAU MICH AN

Olhe para mim

text von Onésio Alves Pereira*

      Die täglichen Photoperformances / Selbstporträts Terezinha Malaquias' auf Instagram fügen immer neue Informationen über die Identität und die Fragestellungen der Künstlerin hinzu, in ständiger Bereicherung ihres Universums. Mal bekräftigen ihre Bilder schon bekannte, mal neue Zeichen, die sich in die Fülle ihrer Referenzen einfügen, sich vermehren und allmählich sichtbare Form annehmen.

   In ihren Photoperformances reflektiert die Künstlerin das Konzept der Identität. In ihnen bringt uns die afrobrasilianische Künstlerin, Kunstmodell und Immigrantin (sie wohnt in Deutschland), zum Nachdenken darüber, wie unser zerstreuter Blick, in Gedanken versunken oder auf uns selbst gerichtet, Personen und selbst ganze soziale Gruppen in eine Art von Anonymität und sozialer Unsichtbarkeit verbannt. Die Künstlerin benutzt deshalb immer den Hashtag "Sichtbarkeit" als eine Form, Pluralität im Blick einzufordern.

 

    Unentbehrliche Berufe wie Müllleute, Straßenkehrer, Straßenverkäufer, und Obdachlose, die auf der Straße leben, sind ständige Opfer unseres zerstreuten Blickes und / oder unserer Vorurteile. Ja, Zerstreutheit und Vergessen können Anzeichen für Vorurteile sein oder sie hervorrufen. Wenn der Blick einer Person Verachtung ausdrückt, kann ihr die andere Seite das gleiche Gefühl entgegenbringen.

     Jeder Mensch ist ein Geschichtenerzähler, eom sozialer Akteur, und oft weigern wir uns, die Geschichten, die sie uns in ihrem Alltag erzählen, zu hören oder ihnen zuzusehen. Auch, wenn es nicht darum gehen kann, stehen zu bleiben und mit allen zu reden, ist es notwendig, ohne irgendwelche Vorurteile darüber zu nachzudenken, dass nichts uns von niemandem trennen kann. Dass wir alle Menschen sind, leiden und glücklich sein wollen.

 

           In einer Welt, in der immer mehr Mauern entstehen, kann der zerstreute, vergessene und folglich vorurteilsvolle Blick die gefährlichste dieser Mauern sein.

       In ihren Photoperformances vervielfältigt sich die Künstlerin. Mal ist sie eingehüllt in bunte oder goldene Stoffe, die auf ihre afrikanischen und brasilianischen Wurzeln verweisen, sie bestätigen und ihre Situation als Frau kommentieren. Mal scheinen die Objekte oder Wearable Art mit ihrer Haut zu verschmelzen und so ihre körperliche Natur als Künstlerin oder Performerin zu potenzieren und deren Funktion als Aktmodell zu problematisieren. Ja, denn paradoxerweise kann auch das Aktmodell Opfer der Unsichtbarkeit werden. In der Bemühung, einen Menschen mit all seinen Details zu porträtieren, die ihre Aufmerksamkeit beanspruchen, können die Kunststudierenden leicht vergessen, dass vor ihnen jemand steht, der viele Geschichten erlebt hat. Ein lebendiger Körper voller Geschichten, und nicht ein unbeseelter, toter Körper.

       Erinnerung und Vergessen können sich ineinanderfügen oder miteinander kollidieren, wenn wir uns erinnern (oder vergessen), dass jeder Mensch ein Bewahrer unzähliger Geschichten ist. Und dass diese Geschichten nicht nur seine eigenen sind, sondern der Menschheit gehören. Menschen mit Verständnis anschauen bedeutet, diese Erzählungen zu teilen, seien es auch die traurigsten und schmerzhaftesten.

            Die Mauern des Unverständnisses müssen durch unseren barmherzigen Blick eingerissen werden. 

     Terezinha Malaquias' Bilder führen uns Erzählungen ohne Zahl vor Augen. Rasante Flüge (zum Beispiel spezifischere oder privatere Erörterungen, in denen Anspielungen auf ihre Vorstellungskraft klarer werden, die in ihrer Funktion als Aktmodell eine Rolle spielen), oder Panoramaflüge (wenn die Künstlerin allgemeinere Fragen angeht, mit Bildern, die sich auf das weibliche Universum beziehen), die in uns die Geschichte der westlichen, brasilianischen oder afrikanischen Kunst wachrufen. Oder auch allgemeine und spezifische Aspekte perfekt arrangiert in einem Bild. Alle Menschen haben ihre Geschichten, obwohl diese Geschichten allen gehören können.

      Anhand der schon erwähnten Stoffe, Objekte oder Wearable Art kann sich die Performerin (selbst, wenn sie sich dessen nicht vollständig bewusst sein sollte) auf Ikonen der Modernen Kunst beziehen, wie auf Alexander Calder, wenn sie Draht benutzt, um Objekte zu schaffen, die ihren Körper umhüllen. Auf Marcel Duchamp und seine Ready Mades, auf Dadaismus und Pop-Art, wenn sie Objekte wie Toilettenpapierrollen verwendet (aus denen sie überdimensionale Halsketten macht), Bürsten, Bügel, Küchengeräte wie Messer und Pfannenwender, Gitarren, etc. Oder an Artur Bispo do Rosário mit Objekten / Wearable Art als Referenz auf seine besondere Art und Weise, mit Stickereien zu schreiben / zu zeichnen. Über dieser Mischung aus Referenzen schwebt ein tropicalistisches Parfüm, eine gewisse allgemeine brasilianische Atmosphäre. 

      Die lange Sequenz von Photoperformances mit Kleiderbügeln ist möglicherweise eine Anspielung auf die Bedingungen, unter denen Frauen in einer kapitalistischen Gesellschaft leben (als Konsumentinnen und nicht immer als Produzentinnen); oder im Besonderen auf ihre Arbeit als Modell. Blumen - mit oder ohne Bügel - Zeichen, die auf die tägliche Hausarbeit und die Küche Bezug nehmen (Gabeln, Messer, Pfannenwender) können kritische Kommentare zu Stereotypen über Frauen, oder auch zur Künstlerin als Modell hervorrufen. Die wiederholte Verwendung von Blumen beschränkt sich nicht auf deren dekorative Funktion, sondern kann ihre Kraft deutlich machen, den weiblichen Körper der Performerin zu betonen. 

     Die Farbe ist ein grundlegendes Element in Terezinha Malaquias' Photoperformances. Sei es durch die Stoffe mit auffälligen Farbtönen und Drucken, die sie umhüllen, sei es durch Objekte, die mit ihrem Körper verschmelzen, oder durch die Blumen, die sie einrahmen. Die Farben heben ihre Formen und ihre schwarze Hautfarbe noch stärker hervor und betonen ihre Schönheit . 

       In jeder Photoperformance scheint die Künstlerin auf Einzigartigkeit und Individualität Anspruch zu erheben. Aber nicht als Form der Isolierung, sondern ganz im Gegenteil als eine Art Beitrag zur Vielfalt von Geschichten. Das reiche Archiv der Erzählungen muss ständig erneuert, recycelt und restauriert werden. Wirkliche Kunst ist nie egozentrisch oder egoistisch, sondern immer freigebig und gutherzig.

        Terezinha Malaquias erzählt mit ihren Photoperformances visuelle Geschichten, als Modell mit großer Lebendigkeit und Schönheit.

*Onésimo Alves Pereira ist Künstler und Photograph, er hat diese Zusammenfassung für die Künstlerin im Laufe des Projekts verfasst.

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